Hanoi – Vietnam, derzeit weltweit die Nummer Vier im Bezug auf Bekleidungsexporte, ist sogar auf dem Weg, eines Tages Bangladesch zu überholen. Das kleine aber starke südostasiatische Land profitiert von der Tatsache, dass viele Auftraggeber nach einer Alternative zu China und Bangladesch suchen. Aufträge kommen hauptsächlich aus den USA, aber auch anderen traditionellen Märkten wie der EU (mit Deutschland und Großbritannien als Hauptimporteuren), Kanada, Japan, Korea und Australien; Russland und der Nahe Osten entwickeln sich als zwei nicht-traditionelle Märkte.
„Die Bekleidungsindustrie Vietnams befindest sich in ihrer besten Phase”, bestätigt Nguyen An, Generaldirektor von Saigon Garment Manufacturing Trading.
2012 erreichten die Bekleidungsexporte ein Volumen von 14,1 Milliarden US-Dollar, ein Anstieg von fast 10 Prozent verglichen mit 2011. Die Branche ist eine entscheidende für Vietnam (zusammen mit der Lebensmittelverarbeitung, Zigaretten und Tabak, Chemikalien und Elektroartikeln) und beschäftigt rund 1,5 Millionen Arbeiter.
Vietnams Bekleidungslandschaft ist vielfältig
Rund die Hälfte aller 2.000 Fabriken, die Konfektionskleidung herstellen und in staatliche, private und ausländische Betriebe geteilt ist, befindet sich in und um Ho-Chi-Minh-Stadt herum, ein Drittel in der Hauptstadt Hanoi, 15 Prozent in Da Nang und der Rest in anderen Städten und Regionen. Die Bekleidungsbranche des Landes hat eine lange Tradition sogenannter “Zuschneide- und Nähbetriebe”, hat aber kürzlich erst angefangen, in großem Stil auf Spinnereien und Webereien zu setzen.
Zwei Veränderungen sind hauptsächlich für das schnelle Wachstum Vietnams verantwortlich. Zum einen stellte die 90-Millionen-Nation von einer zentralen Planwirtschaft auf eine offene Marktwirtschaft um und zum anderen wurde sie Mitglied verschiedener Handelsabkommen wie dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN), der ASEAN-Freihandelszone (AFTA) und der Welthandelsorganisation, was ihr bei der Integration innerhalb Asiens geholfen.
Das achtstärkste bevölkerungsreichste Land Asiens wartet derzeit darauf, dass die Transpazifische Partnerschaft (TPP) in Kraft tritt. Ab 2015 ist vorgesehen, dass diese die Zölle auf die meisten Waren, die zwischen den elf Mitgliedsstaaten Australien, Brunei, Kanada, Chile, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, USA und Vietnam innerhalb der nächsten zehn Jahre schrittweise abbauen wird. Die Bekleidungsbranche würde von Nulltarifen in die USA profitieren, da die Zölle derzeit 17,2 Prozent betragen.
Vietnamesische Löhne im Vergleich
Löhne werden in Vietnam aufgrund von Lebenshaltungskosten und Lebensstandard berechnet und hängen auch von der Art des Betriebs ab (ob in staatlicher, privater oder ausländischer Hand). Es gibt auch ein Nord-Süd- und Stadt-Land-Gefälle der Löhne, wobei der Mindestlohn im Süden höher ist als im Norden.
Auch wenn einige internationale Auftraggeber Vietnam bereits als eine Alternative zu Bangladesch sehen, glauben vietnamesische Unternehmer jedoch nicht, dass die Verlagerung wesentlich ist, da die Löhne in Bangladesch immer zwischen der Hälfte und einem Drittel von denen Vietnams sind. Andere Niedriglohnländer wie Kambodscha, Laos und Myanmar stellen eine weitere Bedrohung für die vietnamesische Bekleidungsindustrie dar.
Arbeiter, Fabriken und Auftraggeber profitieren von Better Work Vietnam
Initiativen wie das Better Work-Programm der Internationalen Arbeitsorganisation wurden ins Leben gerufen, um die Arbeitsbedingungen in Bekleidungsfabriken zu verbessern und gleichzeitig deren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. „Bevor wir uns Better Work Vietnam angeschlossen haben, haben wir keine Risikoeinschätzungen (in den Fabriken) gemacht. Jetzt wissen wir, wie wir Risikoeinschätzungen durchführen müssen. Dadurch ist die Zahl kostspieliger Unfälle wesentlich zurückgegangen; um 40 Prozent verglichen mit dem Vorjahr“, bestätigty Nguyen Thanh Trai, Vizegeneraldirektor von Viet Thinh und sechs anderen Bekleidungsunternehmen.
„Es gibt jedes Jahr Veränderungen. Die Manager achten mehr auf die Bedürfnisse der Arbeiter. … Es ist wirklich gut, dass die Kunden sich um die Lebensqualität von Arbeitern wie uns kümmern“, sagt die Arbeiterin Dang Thu Hoan, die schon seit 15 Jahren für Viet Thinh arbeitet. Für eine Neun-Stunden-Schicht bekommt sie umgerechnet etwa acht US-Dollar, was dem Doppelten des täglichen Mindestlohns entspricht, und bekommt auch andere Arbeitgeberleistungen.
Rund 150 Fabriken nehmen derzeit am Programm teil; bis 2014 soll die Zahl auf 500 Fabriken und 500.000 Arbeiter steigen. Ein Beraterteam, das Beurteilungen durchführt und Fabrikbesitzern und Angestellten bei der Einhaltung von Zielsetzungen hilft, ist essentiell für den Erfolg des Programms. Internationale Auftraggeber schätzen die Rolle des Teams ebenfalls sowie seine Berichte.
“Da Better Work Vietnam transparente Vorgehensweisen und Prozesse zur Beurteilung von Fabriken einhält und sie dann prüft und berät, um die Einhaltung zu gewährleisten und weil diese Vorgehensweisen unseren eigenen sehr ähnlich sind, glauben wir, dass Better Work für uns wertvoll ist, da es uns doppelte Anstrengen und mehrfache Fabrikbesuche abnimmt”, sagt Kanwarpreet Singh, Hauptrepräsentant von Puls Trading Far East Ltd, H&Ms Vertretung in Vietnam. Derzeit haben sich 33 internationale Auftraggeber dem Programm angeschlossen.
Herausforderungen und Chancen für Vietnam
Eine Herausforderung, die die vietnamesische Bekleidungsindustrie aus dem Weg räumen muss, ist die unbeständige Materialbeschaffung. Angesichts seiner eigenen begrenzten Ressourcen, müssen rund 70 Prozent aller Bekleidungsmaterialen Vietnams importiert werden, hauptsächlich aus China. Um die Wirtschaftsflaute zu bewältigen, bieten chinesische Lieferanten immer noch konkurrenzfähige Preise an, sparen aber an der Qualität des Materials. Dadurch mussten in der Vergangenheit Lieferungen zurückgeschickt werden und verzögerten dadurch die Erfüllung von Auftgrägen beziehungsweise brachten Fristen und weitere Aufträge in Gefahr, wenn der Materiallieferant nicht vom Auftraggeber ausgewählt wurde.
Eine weitere Herausforderung, die Vietnam mit anderen Entwicklungsländern teilt, ist der Bedarf nach Weiterentwicklung in Bezug auf maschinelle Ausstattung und Ausrüstung, Technologie und Können der Arbeiter. Gerade in Bezug auf hochqualifizierte Arbeiter ist der Bedarf derzeit größer als das Angebot, da die Geschwindigkeit, mit der Arbeiter Zusatzqualifikationen erwerben, langsamer ist als das wirtschaftliche Wachstum des Landes. Die Regierung geht das Problem durch Investitionen in die Ausbildung an; in der Zwischenzeit kann aber das sogenannte Phänomen des „Job Hopping“ beobachtet werden, bei dem qualifizierte Arbeitskräfte von einem Job zum anderen wechseln. Zudem fehlt es der Bekleidungsindustrie Vietnams auch an gut ausgebildeten und erfahrenen Modedesignern.
Interessant ist die Entwicklung von Vietnams eigenem Bedarf nach Konfektionskleidung: „Traditionell wurde der heimische Bedarf durch individuelle Schneider gedeckt; in den 1990er Jahren jedoch [als Vietnam seine Wirtschaft dem Westen öffnete], wurde Konfektionskleidung beliebter. Während ein Teil des heimischen Bedarfs nach Konfektionskleidug durch importierte (Schmuggel-) Ware aus China gedeckt werden konnte, fingen einige private, heimische Bekleidungslieferanten an, Bekleidung für den heimischen Markt herzustellen, und jetzt gibt es eine beachtliche Konzentration solcher Lieferanten, besonders in Ho-Chi-Minh-Stadt .
Einige der bekannten Marken haben ihre eigenen Geschäfte in wichtigen Geschäftszentren und Kaufhäusern aufgebaut, nicht nur in Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi, sondern auch in anderen wichtigen Städten in ganz Vietnam”, findet Kenta Goto in seinem Artikel vom Dezember 2012 „Is the Vietnamese garment industry at a turning point?“.
Diese schnelle Anpassung an den Bedarf und der schnelle Aufbau des gesamten Konfektionssektors in nur 15 Jahren zeigen die Stärken von Vietnams Bekleidungsindustrie: ihre Fähigkeit, schnell und flexibel auf neue Aufträge und Umstände zu reagieren sowie die Unterstützung von der Regierung des Landes.
Zukünftig wird die Entwicklung nicht-traditioneller Märkte wie Russland und Nahost vielversprechend für Vietnam sein, speziell angesichts eines Nachlassens von Aufträgen aus Nordamerika und Europa. Eine breitere Produktdifferenzierung und -spezialisierung – zum Beispiel auf funktionelle Arbeitskleidung – könnte der Branche ebenfalls Auftrieb geben. Quelle: fashionunited