SINGAPUR – In einer bedeutenden Grundsatzrede am Montag warnte Singapurs Senior Minister und ehemalige Premierminister Lee Hsien Loong davor, dass sich das Land nicht mehr auf ein stabiles und kooperatives globales Handelssystem verlassen könne. Er verwies auf tiefgreifende Veränderungen, die durch umfassende US-Zölle und zunehmende geopolitische Spannungen ausgelöst wurden.
Bei seiner Rede im National Trades Union Congress (NTUC) Centre – kurz vor einem vertraulichen Dialog mit knapp 500 Gewerkschaftsvertretern – zeichnete Lee das Bild einer Welt, die in eine fragmentiertere, unsicherere und weniger freundliche Ära des Welthandels eintritt. Seine Aussagen folgten nur wenige Stunden, nachdem die Regierung Singapurs ihre Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2025 offiziell von 1–3 % auf 0–2 % gesenkt hatte. Als Grund wurden ausdrücklich die indirekten Folgen neuer US-Handelsbarrieren genannt.
Eine neue globale Realität: „Wir müssen uns anpassen“
Lee betonte, dass sich die Bevölkerung mit dieser neuen Realität auseinandersetzen müsse. „Anders als bei früheren Krisen können wir uns nicht mehr einfach in ein funktionierendes globales System einfügen. Dieses System bröckelt“, erklärte er. „Wir blicken auf eine sehr andere Welt in den nächsten fünf bis zehn Jahren – weniger kooperativ, protektionistischer und volatiler.“
Er forderte Bürgerinnen und Bürger sowie Institutionen auf, wachsam, pragmatisch und geeint zu bleiben, um gemeinsam auf diese Herausforderungen zu reagieren: „Ich hoffe, die Menschen in Singapur verstehen, was geschieht, was auf dem Spiel steht und was wir gemeinsam tun müssen, um unsere Zukunft zu sichern.“
Rezession möglich, Wachstum dürfte sich verlangsamen
Auch wenn Lee betonte, dass eine Rezession 2025 eher unwahrscheinlich sei, sei sie „nicht ausgeschlossen“. „Wir müssen in diesem Jahr mit geringerem Wachstum rechnen – und mit einer möglichen Rezession irgendwann später“, sagte er. Besonders die wirtschaftlichen Folgen der US-chinesischen Spannungen und eine sinkende globale Nachfrage könnten sich negativ auf die exportorientierte Wirtschaft Singapurs auswirken.
Die überarbeitete BIP-Prognose, die zuvor vom Handels- und Industrieministerium Singapurs veröffentlicht wurde, spiegelt wachsende Bedenken über nachlassende globale Handelsströme wider – nicht zuletzt infolge eines pauschalen US-Zolls von 10 % auf Importe, mit zusätzlichen Abgaben für Länder mit hohen Handelsüberschüssen, vor allem aus Asien.
Balanceakt zwischen den Großmächten
Lee äußerte sich offen zur wachsenden Kluft zwischen den USA und China und warnte, dass Singapur – als enger Wirtschaftspartner beider Staaten – diplomatisches Geschick brauche. „Wir müssen mit mehr Spannungen zwischen den USA und China rechnen und somit mit einer weniger friedlichen, weniger stabilen Region“, sagte er. „Das wird mehr von uns verlangen: gute Beziehungen zu beiden Seiten und ein eigener Weg ohne diplomatische Stolperfallen.“
Geschlossenheit und Realismus statt Selbstzufriedenheit
Während einige sagen mögen, Singapur habe schon größere Stürme überstanden, hob Lee hervor, dass „diesmal etwas Entscheidendes anders ist“. Er warnte vor Selbstzufriedenheit: „Ja, wir haben frühere Krisen gemeistert. Aber das heißt nicht, dass wir diese Entwicklung auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Wir müssen den Ernst der Lage erkennen und realistisch einschätzen, was zur Anpassung notwendig ist.“
Er appellierte an eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen, um Arbeitsplätze zu sichern, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Singapurs internationale Partnerschaften auszubauen.
Blick nach vorn
Lees Rede stellt eine der deutlichsten Warnungen seitens der singapurischen Führung dar in Bezug auf die langfristigen Risiken zunehmenden Protektionismus im Welthandel. Während sich die Region an eine sich wandelnde wirtschaftliche Landschaft anpasst, setzt seine Ansprache den Ton für eine umfassende nationale Debatte über wirtschaftliche Strategie, gesellschaftliche Resilienz und geopolitisches Gleichgewicht. (zai)